Interviewreihe „Barrierefreiheit im autonomen On-Demand-Verkehr“ – Teil 2: Personen mit Rollstuhl
ahoi Projekt News | 25.09.2024
Sylvia Pille-Steppat ist Architektin im Beratungsbereich Quartiersentwicklung des Kompetenzzentrums für ein barrierefreies Hamburg. Aufgrund von Multiple Sklerose ist sie seit elf Jahren selbst auf einen Rollstuhl angewiesen. Sylvia Pille-Steppat lebt in Hamburg-Harburg und nutzt u. a. hvv hop für ihre Wege. Im Interview sprach sie mit uns über Barrieren, denen sie im On-Demand-Verkehr begegnet, und über die Chancen und Herausforderungen des autonomen Fahrens im Hinblick auf die Barrierefreiheit.
Sylvia Pille-Steppat im Interview – Erfahrungen und Herausforderungen mit dem Rollstuhl im On-Demand-Verkehr
Frau Pille-Steppat, Sie nutzen gelegentlich hvv hop. Für welche Zwecke nutzen Sie den On-Demand-Service und welche Vorteile sehen Sie darin?
Sylvia Pille-Steppat: Ich nutze hvv hop sehr gerne. Man muss keine komplizierten Umstiege planen, das ist zeitsparend. Bisher nutze ich den Service ungefähr viermal im Monat und habe damit immer gute Erfahrungen gemacht. Meist nutze ich hvv hop, um zu beruflichen Terminen oder zum Arzt zu kommen. Orte, wo man sonst nicht so gut hinkommt. Oder auch mal auf dem Nachhauseweg. Da kann man schon, während man noch in der S-Bahn sitzt, das Fahrzeug anfordern. Und dann kommt man schnell nachhause. Gut finde ich auch, dass man in alle Fahrzeuge mit dem Rollstuhl reinkommt. Außerdem kann man das Shuttle schon einige Tage im Voraus buchen.
Kommen Sie mit Ihrem Rollstuhl allein in die On-Demand-Shuttles?
Sylvia Pille-Steppat: Nein, die Rampen sind in der Regel zu steil. Da braucht man Hilfe. Es wäre eigentlich praktisch, wenn das Fahrzeug niedriger wäre oder die Rampe länger, damit der Einstieg dann flacher ist. Oder wenn es anstatt einer Rampe eine Hebeplattform gäbe. Gerade bei Regen ist es auch schwierig, in das Fahrzeug zu kommen, wenn der Greifring am Rollstuhl nass ist und man auf nassen Wegen unterwegs ist. Generell würde ich immer etwas bevorzugen, wo ich alleine reinkomme, ohne auf Hilfe angewiesen zu sein. Man hat sonst immer ein bisschen das Gefühl, den reibungslosen Ablauf zu stören.
Sind sie beim Befestigen ihres Rollstuhls im Shuttle ebenfalls auf die Hilfe des Fahrpersonals angewiesen?
Sylvia Pille-Steppat: Auch beim Befestigen muss jemand helfen, das kann man selber nicht. Das ist dann auch ein Thema beim autonomen Fahren, wie Personen im Rollstuhl sich selbst befestigen können. Wenn man kein Fahrpersonal mehr hat, ist auch niemand mehr da, der solche Griffe machen kann. Aber wenn man sagt, man ist zu 100 % barrierefrei, dann müssen auch alle die Möglichkeit haben, es zu nutzen.
Gibt es weitere Barrieren, auf die Sie bei der Nutzung von On-Demand-Verkehren stoßen?
Sylvia Pille-Steppat: Leider gibt es in den Fahrzeugen immer nur einen Rollstuhlplatz und das ist manchmal schwierig, wenn mehrere Menschen mit Rollstuhl gemeinsam unterwegs sind. Es wäre schön, wenn es möglich wäre, dass Rollstuhlnutzer*innen zusammen fahren könnten.
Anforderungen an barrierefreie autonome Fahrzeuge
Sind Sie schon mal mit einem autonomen Fahrzeug gefahren?
Sylvia Pille-Steppat: Wir sind 2020 mit dem autonomen Bus HEAT von der Hochbahn in der Hafencity gefahren. Hier war ich aber auf Unterstützung angewiesen, vor allem bei der Nutzung der Rampe.
Wenn Sie einen barrierefreien autonomen On-Demand-Verkehr selbst gestalten könnten, wie würde der aussehen?
Sylvia Pille-Steppat: Das Angebot sollte über eine App buchbar sein und innerhalb von zehn bis 20 Minuten kommen. Dann sollte das Shuttle am besten vor die Haustür kommen und so nah an einen ranfahren, dass man gut einsteigen kann. Wenn es eine Rampe gibt, sollte die lang genug sein, damit sie nicht zu steil ist und man alleine reinkommt. Aber wenn gar keine Rampe nötig wäre, wäre das auch toll. Eine Art Lift würde ich fast noch besser finden. Man sollte gut in das Fahrzeug reinfahren können, ohne viel zu rangieren, und ein Griff wäre schön, wo man sich festhalten kann. Falls man sich im Fahrzeug umsetzen kann, wäre es auch schön, wenn man den Rollstuhl dann irgendwo parken könnte und ihn nicht festhalten müsste. Bevor die Fahrt losgeht, müsste es auch eine Möglichkeit geben, dass man sich „abfahrbereit“ melden kann, wenn man sich positioniert hat. Da könnte man vielleicht einen Knopf drücken.
Dann sollte es einen gut sichtbaren Bildschirm mit Informationen geben, wo man gerade ist, wie lang die Fahrt noch dauert oder wenn es zum Beispiel Störungen gibt oder eine Umleitung gefahren wird. Und ich hätte auch gerne die Möglichkeit, immer mit jemandem sprechen zu können, auch im Notfall.
Und wenn ich mir noch etwas wünschen dürfte, dann, dass man die Temperatur im Fahrzeug regulieren könnte und dass man vielleicht auch im Dunkeln die Beleuchtung regulieren könnte, eventuell sogar per App.
Wenn Sie an den Ausstieg aus dem autonomen Shuttle denken, welche Wünsche hätten Sie da in Bezug auf den Informationsfluss?
Sylvia Pille-Steppat: Manchmal ist es ja nicht möglich, dort gut rauszukommen, wo das Fahrzeug hält, weil der Bordstein zu hoch ist oder etwas den Weg versperrt. Es wäre schön, wenn das Auto vorher eine Umfeldanalyse machen könnte, um das zu vermeiden. Es wäre auch toll, wenn das Fahrzeug vorher schon weiß, ob der Fahrstuhl an meiner geplanten Zielhaltestelle kaputt ist und mir dann einen anderen Weg vorschlägt.
Informationen und Schulungsangebote als Schlüssel für Vertrauen
Wie müsste Ihrer Meinung nach eine Werbung für autonome hvv hop Shuttles gestaltet sein, damit der Service für Sie als Rollstuhlfahrerin attraktiv wird?
Sylvia Pille-Steppat: Man müsste ganz viele Informationen darüber bekommen, wie barrierefrei das Angebot ist, von der Buchung bis zum Einstieg und wie man im Fahrzeug sitzt. Es wäre vielleicht am besten, man hätte ein Video, wo das gezeigt wird. Ich finde das immer ganz schön, wenn man schon weiß, was einen erwartet. Die Infos müssen so aufbereitet sein, dass sie auch für jeden verständlich sind.
Würde es Ihnen auch Sicherheit geben, wenn Sie das Fahrzeug vorher ausprobieren könnten und Ihnen jemand das Fahrzeug erklärt?
Sylvia Pille-Steppat: Das wäre eine ganz tolle Sache. Es gibt ja auch die Mobilitätstrainer*innen beim hvv und das hat mir am Anfang bei der Nutzung des hvv sehr geholfen. Ich glaube, das würde einem bei autonomen Fahrzeugen auch unheimlich viel Sicherheit geben, wenn man erstmal eine Person hat, die sich auskennt, einen begleitet und einem alle Fragen beantworten kann.
Was würden Sie abschließend sagen, welche Chancen bieten autonome On-Demand-Shuttles für mobilitätseingeschränkte Menschen?
Sylvia Pille-Steppat: Ich denke, dass das eine gute Sache ist und ich freue mich da auch echt drauf. Ich glaube, wenn der Service wirklich gut und immer verfügbar ist, dass man dann auf das private Auto verzichten würde. Ein autonomes Shuttle wäre eine gute Möglichkeit für die berühmte letzte Meile, dass man auch Dinge in einem etwas größeren Umkreis erledigen kann. Und ich kann mir vorstellen, dass es dann sogar sicherer als der jetzige Individualverkehr sein könnte. Gerade Menschen mit Einschränkungen hilft es wahrscheinlich total. Es ist wirklich die Zukunft.
Vielen Dank für das offene und interessante Gespräch!
In unserem zweiten Interview zum Thema „Barrierefreiheit im autonomen On-Demand-Verkehr“ konnten wir spannende Einblicke in die Realität von Personen im Rollstuhl erhalten. Für Sylvia Pille-Steppat ist besonders der selbständige Zugang zum Shuttle sowie das einfache Befestigen des Rollstuhls wichtig, sobald kein Fahrpersonal mehr an Bord des Fahrzeugs ist. Autonome On-Demand-Verkehre können auch für Personen mit Rollstuhl eine große Chance bieten, ihre Mobilität verbessern und für mehr Unabhängigkeit sorgen. Voraussetzung ist jedoch auch hier, dass die Fahrzeuge umfassend barrierefrei gestaltet werden. Darüber hinaus können umfangreiche Informationen und die Unterstützung durch Mobilitätstrainer*innen für mehr Akzeptanz und Vertrauen sorgen.
Header-Bild: v. l. n. r. Karoline Klein (vhh.mobility, Leitung AG Öffentlichkeitsarbeit im Projekt ahoi), Sylvia Pille-Steppat, Annika Wismer (TUHH, AG Barrierefreiheit), Yunus Ouarghi (New Mobility Solutions Hamburg, Leitung AG Barrierefreiheit)